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"33!Denk!Bänke!"
Eine neue Form von multimedialer Kunst im Öffentlichen Raum
auf dem Campus der Fachhochschule Kiel
von Michael Weisser.



Das Thema:
Immer häufiger trifft man auf die kleinen, schwarz/weißen Quadrate, in denen ein Pixelmuster rauscht. Mal größer in den Ecken von Plakaten, mal ganz klein auf Anzeigen, Werbeprospekten, aber auch bei Artikeln in Zeitungen und Magazinen. Die 2D-Codes, breiten sich in unserem Alltag aus, wie Marienkäfer im Juni. Es sind die sogenannten QR-Codes, die einen "quick response", also eine schnelle Reaktion anbieten. Reaktion worauf?

Die Funktion:
Wer auf seinem SmartPhone z.B. die kostenfreie App von i-nigma zur Verfügung hat, der aktiviert diese App, richtet seine Kamera auf den Code und erhält blitzschnell die Reaktion, soweit ein gutes Sendesignal (3G) oder die Verbindung zu einem W-LAN besteht. Auf dem Display kann ein informierender Text erscheinen, eine Telefonnummer, eine SMS, eine URL oder eine komplette Adresse, die man mit einem Tastendruck in seinem Adressbuch abspeichert. Oder es wird eine Internetverbindung aufgebaut, die komplexe Informationen wie Bilder, Klänge oder Texte bietet. So wird die altbekannte Print-Werbung über QR-Codes komfortabel um multimediale Inhalte erweitert.

Die Technik:
Der QR-Code besteht aus einer quadratischen Matrix aus schwarzen und weißen Pixelquadraten, die die kodierten Daten binär darstellen. Drei große Quadrate in den Ecken markieren Orientierung für das Erkennungsprogramm. Die Daten im QR-Code sind durch einen speziellen, Fehler korrigierenden Code geschützt. Selbst wenn bis zu 30 % des optischen Codes zerstört sind, kann er dennoch erkannt werden.
Anders als einfache Strichcodes speichert der QR Daten zweidimensional, in horizontaler und vertikaler Richtung. In ein Codequadrat passen 4.296 alphanumerische Zeichen (Buchstaben, Zahlen, Zeichen). Zum Vergleich: Der bekannte EAN-Strichcode (European Article Number) verschlüsselt nur 13 Zahlen.

Die Vergangenheit:
Der QR-Code hat seine Geschichte. Er wurde 1994 von der Firma Denso Wave in Japan entwickelt, um Komponenten für die Logistik in der Automobilproduktion bei Toyota zu markieren. Seit 2007 verbreitet sich diese Funktion auch in Europa. In das Auge der deutschen Öffentlichkeit traten die daumennagelgroßen Quadrate, als die Zeitung "Welt Kompakt" auf diese Weise am 9.11.2007 erstmals ihre gedruckten Artikel per QR-Code um zusätzliche Informationen ergänzte.

Die Gegenwart:
Das "mobile tagging" entwickelt sich. In einer Gesellschaft, in der Mobilität und Information immer wichtiger werden, nimmt diese Form des Zeichens im öffentlichen Raum rasant zu. Bald wird der QR-Code Teil unseres Alltags geworden sein und immer mehr Funktionen und Nutzer haben.
Was man mit diesem Code alles machen kann, ist noch völlig offen. Das ist ein Thema, über das sich ein Nachdenken lohnt.

Die Zukunft:
Der hohe Funktionswert des QR-Codes ist unbestritten. Doch ist die Funktion alles? Diese Frage habe ich mir im Jahr 2007 gestellt, als ich diesem kleinen, zweidimensionalen Rauschen erstmals bei einem Logistikunternehmen begegnet bin. Was mich an den QR-Codes besonders interessiert, das ist die rauschende Optik, das offensichtliche Chaos, in dem doch die Ordnung der Information steckt.

In eigener Sache:
Mich interessiert, welche innovativen Funktionen solche öffentlichen Codes enthalten können. Muss es nur Funktion sein? Oder kann auch die optische Erscheinung dieser konkreten Kunstform kreativ gestaltet werden?

Für Kreative zwischen Kunst, Design und IT-Welt ist das eine spannende Start-Up-Idee, denn laut ComScore hat sich die Anzahl der Smartphone-Nutzer allein in Deutschland in vier Jahren von Januar 2009 mit 6,31 Mio bis Dezember 2011 auf 21,30 Mio gesteigert. Im Vergleich dazu lag die Anzahl der Nutzer in Großbritannien im Dezember 2011 sogar bei rund 25 Millionen.
Alle Zahlen haben steigende Tendenz und so wächst ein gigantischer Markt heran, den man auf Europa und im globalen Zeitalter auf die ganze Welt hochrechnen kann.

Wenn man Kunst nicht als Prestigeobjekt, als schönen Schein, als Dekoration oder unter Interessen der Spekulation auf steigende Werte sieht, sondern als einen Ort, an dem man weitgehend frei handeln, also ausprobieren, gestalten, entwickeln und verändern kann, gewinnt sie eine emanzipatorische Dimension.

Seit 2007 experimentiere ich mit der Ästhetik und den Funktionen von QR-Codes. Auf dem schwerfälligen Equipment eines Logistikunternehmens entstanden meine ersten, orakelnden Text-Codes: "Ich war ein Wort!", "Deine Wünsche werden wahr!" und "Ich werde Herr Dein Gott!". Hier behauptet der digitale Pixelcode mit der Ansprache in der "Ich-Form" in provozierender Weise seine Identität. Gezeigt wurden diese quadratmetergroßen Drucke erstmals in meiner Ausstellung "am:wort:ort" in den Räumen der Zentralbibliothek Bremen von April bis Oktober 2012.

Erst mit der Entwicklung des Smartphones, mit der Einführung von Applikationen (den Apps auf dem i-phone 3GS) und mit komfortabler Lesesoftware wie "i-nigma" wurde es möglich, über die Codes spezielle Web-Seiten mit künstlerischen Inhalten aufzurufen. Erst bei diesem Stand der Technik konnte ich unterschiedliche Medien über an jedem Ort mit entsprechendem Empfang (3G oder W-LAN) abrufen, um Bilder, Texte und Klänge zu verbinden.

Um über den QR-Code eine neue Form von "Kunst im Öffentlichen Raum" zu entwickeln, ist neben der Vision, der Kreativität und der Technik auch die konkrete Verfügung über Nutzungsrechte an Medien wie Bilder, Klänge und Texte Voraussetzung. Da ich im Verlauf meiner künstlerischen Entwicklung in den Medien Bild, Klang und Wort auf der Grenze von analog und digital gearbeitet habe, steht mir ein großes Archiv an Werken zur Verfügung.

"33!Denk!Bänke!" in Kiel:

Seit der Eröffnung meiner Ausstellung "ich:meiner:mir:mich - analoge und digitale Identitäten" am 20. September 2012 auf dem Campus der Fachhochschule Kiel, arbeite ich an dem Konzept, speziell entwickelte QR-Codes auf den Lehnen der 33 Sitz-Bänke auf dem Campus anzubringen und auf diese Weise die "Kulturinsel Dietrichsdorf" zu einem besonderen Erlebnisorten zu machen.

Ab dem 3. März 2013 werden 33 Bänke jeweils einen unterschiedlichen QR-Code im Format 30x30cm auf der Lehne tragen. Die Bänke sind mit Bedacht auf dem Campus der Fachhochschule einzeln oder in Gruppen verteilt.
Man kann den QR-Code auf der Bank scannen, dann Platz nehmen und mit Smartphone und Kopfhörer das jeweilige Kunstangebot erleben.

Was für ein überraschendes Erlebnis muss es sein, z.B. mit Blick auf den Steinkreis im Zentrum des Campus unvermittelt eine Woodoo-Session aus der Steppe der Shimba-Hills in Kenia zu hören, oder sich am Sokratesplatz mitten auf dem Marktplatz von Viktoria auf der Seychelleninsel Mahe zu fühlen, oder mit Blick auf den Kultur-Bunker ein politisches Gedicht als Text zu lesen, oder vor der Mensa am Übergang der Schwentine in die Kieler Förde mit weitem Blick auf das Meer eine sphärische Musikkomposition mit Gregorianischen Gesängen erleben. 33 mal oder, oder, oder...

Interessant ist die Frage, was diese kostenfreie Erlebnisse von Texten, Gedichten, Musikkompositionen, Weltklängen, Filmen und Bildern in den Nutzern an Gefühlen und Gedanken auslösen? Auf welche Ideen könnten sie gebracht werden? Diese Erfahrungen und Reaktionen stehen noch aus... sie werden kommen...


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