Michael Weisser - Fachhochschule Kiel
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Stefan Dupke - Kulturwissenschaftler

Rede
zur Übergabe der 33 DenkBänke auf dem Campus der FHK
am 3.3.2013

Lieber Klaus-Michael Heinze,
Lieber Michael Weisser,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

einen wunderschönen guten Tag,
herzlich willkommen zur Einweihung der 33!Denk!Bänke! – der neuen, bleibenden Installation von Michael Weisser auf dem Campus der Fachhochschule.

Wir haben es hier mit einem ausgesprochen komplexen Werk der Kunst im öffentlichen Raum zu tun, das Merkmale von Konzeptkunst, Medienkunst, digitaler Kunst und Konkreter Kunst in sich vereint. Diese sind nicht immer offensichtlich, denn zunächst einmal begegnet der Betrachter lediglich einer Bank - einer Sitzgelegenheit im öffentlichen Raum - auf deren Lehne ein mehrfarbiges Quadrat angebracht ist. Die Gestaltung dieser Quadrate changiert zwischen streng geometrischer Konstruktion und amorphen Formen, teilweise mit einer dreidimensionalen Anmutung. In ihrer reduzierten Form- und Farbgebung erinnern sie an Konkrete Kunst und an Op-Art.

Für Menschen, die vertraut sind mit den digitalen Kulturtechniken unserer Zeit, erschließt sich dennoch unmittelbar die optische Nähe zu den vor allem aus der Werbung bekannten QR-Codes, die in Zeitungen und auf Plakaten immer häufiger auftauchen. Wer sein Smartphone einsetzt, um das zu überprüfen, wird feststellen, dass es sich bei diesen Bildwerken tatsächlich um solche QR-Codes handelt, in denen Informationen verschlüsselt sind. Diese Inhalte können mit einem Smartphone decodiert werden. Hinterlegt sind Internetadressen, die zu weiteren Werken des Künstlers führen: zu Bildern, Texten, Rezitationen, Videos, Musikstücken und Klängen. Michael Weisser schöpft hierbei aus dem reichen Fundus seines eigenen künstlerischen Schaffens der letzten rund 40 Jahre, dessen sämtliche Werke er elektronisch gespeichert und systematisch archiviert hat.

Für jeden Standort der Bänke und in Beziehung zur direkten Umgebung hat Weisser die Inhalte ortspezifisch ausgewählt: mit Blick auf die Förde, auf einen Luftschutzbunker, auf einen freien Platz oder auf die Skulptur eines anderen Künstlers im Außenraum des Campus. Statt jedoch einen direkt ablesbaren Bezug zwischen Ort und Werk herzustellen, lädt der Künstler zum freien Assoziieren ein. Michael Weisser präsentiert ebenso Rezitationen seiner Poesie wie elektronische Musik und fremde Klänge, die er an entlegenen Orten auf der ganzen Welt aufgezeichnet hat. Einer der wesentlichen Antriebe von Michael Weisser ist seine Neugier auf die Welt, das Leben und die Menschen, darum reist und sammelt er. Unter anderem gibt es Aufnahmen nächtlicher Gesänge am Lagerfeuer auf einer der Osterinseln, von Priestern auf Tahiti und von einem Marktplatz auf den Seychellen zu hören.

Diese Originalaufnahmen sind nicht dokumentarisches Material, sondern klangliche Fundstücke. Der Rezipient bekommt außer dem Ort und der Zeit der Tonaufnahme keine Informationen über kulturelle, soziale oder sonstige Zusammenhänge der Situation. Er weiß nicht, wer warum singt, nicht, was die Worte bedeuten, nicht einmal welcher Sprache sie entstammen. Ihm bleibt, die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen und sie subjektiv in Beziehung zu sich und seinem Aufenthaltsort zu setzen. Michael Weisser kreiert so Orte der Entspannung und Anregung, der Provokation, der Irritation und Erinnerung, sowie der Meditation und Inspiration.

Sie sehen, wie komplex die Installation ist: Während es ohnehin bereits sehr ungewöhnlich ist, derart viele Medien in einem einzigen Kunstwerk zu vereinen – umso mehr, wenn dieses im öffentlichen Raum gezeigt wird - so besteht die eigentliche Besonderheit der 33!Denk!Bänke! darin, dass die analogen und digitalen Inhalte hier erst im Moment des Rezipierens durch eine bewusste Interaktion des Besuchers zusammengefügt und in Beziehung zu sich und der Umgebung gesetzt werden. In diesem Prozess ist der Rezipient durchaus gefordert: anders als in der Beschäftigung mit digitalen Kunstwerken in Museen, Galerien oder Kunstvereinen üblich muss er außer seiner Zeit und Offenheit hier auch sein eigenes Abspielgerät sowie seine eigenen Kopfhörer mitbringen. Zudem muss er den QR-Code als solchen erkennen, ein Smartphone mit Internetverbindung dabei haben, und die entsprechende App muss installiert sein.

Man kann sagen, dass Michael Weisser mit den 33!Denk!Bänken! ein neues Modell für Kunst im öffentlichen Raum entwickelt hat, das hier erstmals realisiert wurde.

Da der Medienkünstler Michael Weisser sich generell mit Zeichensystemen - besonders mit computergenerierten - auseinandersetzt, liegt es nahe, dass er sich auch für QR-Codes interessiert – nicht zuletzt weil diese mehr Informationen speichern können und mehr Gestaltungsspielraum bieten als beispielsweise Strichcodes.

Doch es gibt noch eine weitere Verbindung: 1988 erzeugte ein Computerfehler beim Scannen eines Bildes ein wirres Muster aus schwarzen und weißen Flächen auf seinem Bildschirm, das er selbst als digitales Rauschen wahrnahm und bezeichnete. Dieses Bildrauschen und dessen einzelne, aus Quadraten zusammengesetzte Formen, waren seitdem immer wieder Gegenstand seiner Betrachtungen und Ausgangspunkt für eine große Anzahl von Werken – unter anderem für seine Serie „Digitale Identitäten“, von der Teile im vergangenen Jahr hier im Bunker zu sehen war.
Die einzelnen Pixelhaufen aus dem Bildrauschen von 1988 besitzen die gleiche Form und Struktur wie die Elemente aus denen sich ein QR-Code zusammensetzt. Somit erhalten Formen, mit denen der Künstler seit vielen Jahren arbeitet, durch die neue Technik eine neue Funktionalität, sie führen zu neuen Themen und bieten ihm neue Möglichkeiten der Interaktion und Gestaltung.

Seit 2007 untersucht er systematisch die möglichen Modifikationen der Flächen und Formungen und entwickelte hierbei eine ganz eigene Ästhetik. So verändert er Formen und Farben der QRs bis an die Grenze der maschinellen Lesbarkeit. Hierdurch entstehen Bilder, die weit über ihre technische Funktion hinaus weisen, denn sie wecken Assoziationen an die Labyrinthe früher Computerspiele, an Konkrete Kunst und an Op-Art. Teilweise scheinen Konturen aus dem Bildgrund hervorzutreten, vexieren zwischen Zwei- und Dreidimensionalität. In dieser Gestaltung reflektiert Weisser sowohl Sehgewohnheiten im Umgang mit Computern und Massenmedien wie auch mit der nonfigurativen Kunst. Er schafft Bilder, die eigenständige Kunstwerke sind, und zwar auch dann noch, wenn die in ihnen hinterlegten Informationen nicht entschlüsselt werden.

In ihrer ersten Anmutung erscheinen die quadratischen Bilder als reine Konstruktion, frei von Figürlichkeit, Symbolen oder abstrakten Inhalten. Formen und Farben sind auf ein Minimum reduziert und entwickeln in dieser Reduktion die Klarheit ihrer Bildsprache. All das teilen sie mit der Konkreten Kunst. Und auch Michael Weisser geht es um eine ästhetische Gestaltung von Lebensräumen. Doch während die Avantgardisten der Klassischen Moderne auf ihrer Suche nach „reiner, universeller Schönheit“ jeden Bezug zu Gegenständen außerhalb des Bildgefüges ablehnten, tut Michael Weisser genau das. Durch den Prozess der technischen Dekodierung werden seine Formen sinnhaft, indem ihnen ein semantischer Inhalt zugeordnet wird: in diesem Fall die alphanumerisch notierten Adressen von Internetseiten. Nicht zufällig lautet der Name der speziell hierfür eingerichteten Domain amoibo.de – benannt nach dem griechischen Wort für „Ich verändere mich“.

Trotz dieser außerhalb ihrer selbst liegenden Inhalte haben Weissers QR-Arbeiten viel gemein mit den Vertretern der Konkreten Kunst. Wie sie entindividualisiert er seine Ausdrucksmittel, befreit sie von handwerklichen, virtuosen Eigentümlichkeiten und ordnet sich mathematischen bzw. technisch-konstruktiven Prinzipien unter, um Werke von zeitloser Schlichtheit zu schaffen, die nur über die Wahrnehmung ihrer Formen- und Farbkomposition wirken.

Diverse Codes aus Warenwirtschaft und Werbung waren bereits Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung – eines der frühesten und bekanntesten Beispiele ist der tätowierte Barcode des Aktionskünstler Flatz von 1988. In vielen dieser Arbeiten stehen Kapitalismus-, Konsum- und Medienkritik im Vordergrund. Einige Konzept- und Medienkünstler bieten ebenfalls verschlüsselte Inhalte an, die vom Rezipienten dekodiert werden sollen und die zu weiteren Inhalten führen. Meist werden hierbei Themen wie Globalisierung, Kommunikation und Medienkritik reflektiert.

Auch in der Arbeit von Michael Weisser spielen solche medien- und gesellschaftsbezogenen Aspekte eine wichtige Rolle, doch seine Installation unterscheidet sich durch einen wesentlichen Aspekt von den zuvor genannten: sowohl QR-Code wie auch der verlinkte Inhalt sind bei ihm eigenständige Kunstwerke (im Rahmen des Werks der Installation).

Der Künstler bietet analoge und digitale Inhalte an und lädt dazu ein, diese mit der gleichen Konzentration oder auch Kontemplation zu rezipieren, wie sie üblicherweise den Besuchern der etablierten Kulturinstitutionen zugesprochen wird. Damit stellt Michael Weisser auch die Frage nach der generellen Kunstfähigkeit des Internets.

Wir alle kennen das Bild von Menschen, die in der Bahn, im Café oder auf der Straße ständig auf ihre Smartphones schauen, während sie früher aus dem Fenster sahen, Zeitung lasen oder einfach flanierten und die Welt betrachteten. Heute wird entweder gearbeitet, über soziale Netzwerke kommuniziert, Informationen von unterschiedlicher Relevanz werden gesammelt, bewertet verarbeitet und weitergeleitet, es wird „gesurft“ oder gespielt.

All das hat fraglos seine Berechtigung. Doch das Internet ist, wenn auch virtuell, ein öffentlicher Raum. Und in dem muss für Michael Weisser mehr möglich sein als die genannten Handlungen. Es muss auch die Möglichkeit der Besinnung geben - nicht nur Links, die immer wieder auf die nächste Seite führen, sondern auch solche, die innehalten lassen, die zurück zur materiellen Realität führen. So bieten seine ästhetischen Angebote auch die Möglichkeit, den Ort neu wahrzunehmen und zu erleben – also gerade keine Realitätsflucht, sondern eine digital inspirierte Rückbesinnung oder Zuwendung zur analogen Welt.

Außerdem gehört es zu Michael Weisser, dass er Art und Sinn von Rezeptionsgewohnheiten reflektiert und den Werkbegriff im Kontext zeitgenössischer Kunst spielerisch in Frage stellt. Der Künstler betont immer wieder die Wichtigkeit von Freiheit und Individualität. Entsprechend will er dem Rezipienten Anstöße geben, anstatt ihm die Denkrichtung vorzugeben.

So formulierte er selbst in einem Interview: „Letztendlich ist immer wichtig, was im Kopf des Betrachters vor sich geht. Die materiellen Werke in ihrer physischen Präsenz dienen eigentlich nur der Stimulation der Gedanken.“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viele interessante Eindrücke und Gedanken auf den Denkbänken von Michael Weisser.
Vielen Dank


© Stefan Duple - Kurator und Kulturmanager, Hamburg

2013 - www.mikeweisser.de



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